Braucht Deutschland eine bewusstere, kohäsive Sprachenpolitik?
Braucht Deutschland eine bewusstere, kohäsive Sprachenpolitik?

Braucht Deutschland eine bewusstere, kohäsive Sprachenpolitik?

Expertengespräch, 27.-29. September 2006

eBook, Deutsch, Alexander von Humboldt Stiftung

Autor: Prof. Dr. Gerhard Leitner, FAHA (Hon.)

Erscheinungsdatum: 2006


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Alexander von Humboldt Stiftung

Preis: kostenlos

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Das Wichtigste für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
1. Das Verhalten in der Öffentlichkeit gegenüber dem Deutschen, Englischen und anderen Sprachen ist voller Widersprüche. Während nach außen das Deutsche immer wieder gefordert wird und ihm nach innen Verfassungsrang zugebilligt werden soll, pflegt man eine deutsch-englische Zweisprachigkeit in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Diese Widersprüche erschweren die Förderung des Deutschen nach außen, so wie sie das Potenzial der Sprachenvielfalt im Innern ignorieren.
2. Eine Sprachenpolitik, die als Ziel eine Veränderung des Sprachverhaltens und der Einstellungen zu Sprachen hat, muss diese Widersprüche aufgreifen und die Debatte über eine Gesamtperspektive fördern.
3. Sprachenpolitik umfasst die Spracheninnen- und die Sprachenaußenpolitik. Beide interagieren miteinander. Erfolgreiche Sprachenaußenpolitik setzt eine entsprechende Spracheninnenpolitik voraus.
4. Das Englische ist und bleibt derzeit noch die wichtigste Fremdsprache für Deutschland, Europa und die Welt (es ist aber auch vielerorts eine Migrantensprache). Das heißt nicht, dass Englisch die ausschließliche und einzige Fremdsprache (schon im frühkindlichen Fremdsprachenerwerb) sein muss. Das Verhältnis des Englischen zum Deutschen ist unter dem Aspekt der Funktionalität in Wissenschaft, Forschung, Medien (-Inhalten), Wirtschaft und Kultur zu überdenken, um den unreflektierten Hang zum Englischen einzuschränken.
5. Die vorhandene Sprachenvielfalt durch Migrations- und Minderheitensprachen ist zum Wohl der Muttersprachler zu fördern. Sprachen sind Ausdruck der Identität, sie haben eine Brückenfunktion zwischen den Generationen und zum Herkunftsland. Wie in vielen anderen Ländern wird das die Bereitwilligkeit zum Deutscherwerb stärken, was Fördermaßnahmen beschleunigen können.
6. Sprachenvielfalt ist eine Ressource, die kreativ für Deutschland genutzt werden soll. Sie ist anzubieten, zu fördern, zu pflegen und als Teil der Sprachenaußenpolitik nach außen zu vermitteln. Sie ist Zeichen einer offenen, vielfältigen Gesellschaft.
7. Die Stellung des Deutschen international muss intensiv gefördert werden. Das geht über
- eine komplementäre Ergänzung der Spracherwerbsangebote von Institutionen wie der Alexander von Humboldt Stiftung, der VW-Stiftung, dem DAAD oder dem Goethe Institut durch entsprechende mediale Angebote von Deutscher Welle und weiteren Medienorganisationen. Die Kooperation mit eher privaten oder privatwirtschaftlichen Einrichtungen, Wirtschaftsverbänden und export-orientierten Groß- und Mittelstandsbetrieben sollte darüber hinaus ausgebaut werden;
- eine (auf diesem Wege erreichbare) Vertiefung des natürlichen Spracheninputs für Lerner sowie die Schaffung von beruflichen Perspektiven mit und dank des Deutschen;
- einen offensiveren Gebrauch des Deutschen bei der Vermittlung von Inhalten (also nicht nur Englisch);
- eine Stärkung seines Images durch die Kreativindustrie bzw. die Medien;
- die Außenprojektion einer offenen, mehrsprachigen Gesellschaft.
8. Da nicht nur Deutsch von der Dominanz des Englischen betroffen ist, sind Kooperationen mit EU-Partnern geeignet, die sprachliche und kulturelle Vielfalt des Kontinents zu fördern. Sprachen sind europäische Markenzeichen, Teil des symbolischen Potenzials des Kontinents, das von außen so gesehen und dorthin so zu vermitteln ist.
9. Für einzelne Problemfelder, etwa die institutionalisierte Benachteiligung aller Sprachen durch Wissenschaftsdokumentationssysteme, die englischsprachige Arbeiten einseitig bevorzugen, sind z. B. im 7. Rahmenprogramm der EU komplementäre Maßnahmen einzuleiten, um diese Benachteiligungen abzuschwächen.

Prof. Dr. Gerhard Leitner, FAHA (Hon.)

DE, Berlin

Universitätsprofessor

Freie Universität Berlin Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften Institut für Englische Philologie

Publikationen: 8

Veranstaltungen: 5

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