Der Zugriff auf den Embryo - Ethische, rechtliche und kulturvergleichende Aspekte der Reproduktionsmedizin
Der Zugriff auf den Embryo - Ethische, rechtliche und kulturvergleichende Aspekte der Reproduktionsmedizin

Der Zugriff auf den Embryo - Ethische, rechtliche und kulturvergleichende Aspekte der Reproduktionsmedizin

Rezension, Deutsch, 3 Seiten, Verlag für Medizin und Wirtschfat, Krause & Pachernegg

Erscheinungsdatum: 2007

Quelle: Speculum

Seitenangabe: 20-22


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Verlag für Medizin und Wirtschfat, Krause & Pachernegg

Preis: kostenlos

Bezugsquelle:

Fuat S. Oduncu/ Katrin Platzer/ Wolfram Henn (Hg.): Der Zugriff auf den Embryo. Ethische,
rechtliche und kulturvergleichende Aspekte der Reproduktionsmedizin, Göttingen 2005,
ISBN: 3-525-45711-1

Anfang Juli 2006 trat eine jugendlich gestylte, gut gekleidete, mit exklusivem Schmuck behängte, fröhlich lachende Britin vor die internationalen Kameras. Grund der Freude war, daß sie dank der Eizellenspende einer ehemaligen Sowjetbürgerin mit fast 63 Jahren späte Mutterfreuden erfuhr. Die Kinder-Psychologin (!) teilte der Presse darüber hinaus mit: "Wir bedauern die Ausbeutung von
armen Frauen, die gezwungen sind, ihre Eizellen zu verkaufen." (1)

Vor diesem Hintergrund scheint das Buch " Der Zugriff auf den Embryo. Ethische, rechtliche und kulturvergleichende Aspekte der Reproduktionsmedizin" eine durchaus lohnende Lektüre. Es basiert auf Vorträgen, die im Rahmen einer Gemeinschaftsveranstaltung der Evangelischen Akademie der Pfalz und der Arbeitsgruppe "Reproduktionsmedizin und Embryonenschutz" in der Akademie für Ethik in der Medizin in Klingenmünster auf der gleichnamigen Tagung im November 2003 vorgetragen wurden.

Die Veranstaltung ging von der richtigen Prämisse aus, daß in den bisherigen Bioethik- Kommissionen die Positionen der anderen Religionsgemeinschaften zu wenig Beachtung gefunden haben. (S.10) Um diesem Manko abzuhelfen, wurde auf 162 Seiten, in vier Unterkapiteln neben dem aktuellen medizinischen Sachstand und der zukünftigen Entwicklung, die rechtlichen (deutschen) Aspekte der Fortpflanzungsmedizin, der ontologische und moralische Status früher menschlicher Embryonen aus evangelischer, katholischer, islamischer und jüdischer Sicht untersucht. Abschließend wird sowohl die religiöse als auch die rechtliche Situation in den Ländern China und Japan skizziert. Siebzehn Abbildungen und 9 Tabellen komplettieren das Werk.

nsbesondere Hans Wilhelm Michelmanns (ohnehin) eingängiger Beitrag über den aktuellen Sachstand und künftige Entwicklung der Reproduktionsmedizin gewinnt etwa durch Photographien der präimplantatorischen Entwicklung an Plastizität (S. 20). Seine Schlußfolgerung, daß die Übertragung der Embryonen am zweiten oder dritten Tag aus physiologischer Sicht eigentlich zu früh erfolge (S. 21), da der Embryo bei einer normalen Befruchtung den Uterus frühestens am vierten Tag erreicht, verdeutlicht dem medizinischen Laien die problematische Komplexität. Dank neuer Medien ist es nun möglich, Embryonen mit gutem Implantationspotenzial in vitro bis zur expandierenden Blastozyste zu kultivieren, um sie sodann einzupflanzen. Der Erfolg ist gemäß Michelmann evident: Fast alle Reproduktionsmedizinzentren, die Blastozystenkultur durchführen, berichten von mindestens doppelt so hohen Schwangerschaftsraten im Vergleich zu einem Transfer in einem frühen Stadium (S. 21). Gleichwohl ist hier Vorsicht geboten, denn Michelmanns Ausführungen lagen zeitlich vor dem Artikel über die “Blastozystenkultur” in der Zeitschrift Human Reproduction. (2) Trefflich streiten läßt sich indes über Michelmanns Vorschläge für ein Fortpflanzungsmedizingesetz (S. 31). Neben dem Transfer von maximal zwei expandierenden Blastozysten möchte er die Samen- und Eizellenspende zulassen, um gleichzeitig die Leihmutterschaft zu verbieten (S. 31). Hier eröffnet sich für den Juristen eine ideale Fragestellung.

Dieses Potential bleibt freilich ungenutzt: Der Beitrag von Christiane C. Wendehorst über die "Anforderungen an ein künftiges Fortpflanzungsmedizingesetz" ist derart kompliziert und abstrakt gehalten (S. 40, 41), daß eigentlich nur Rechtswissenschaftler den Ausführungen mit einiger Mühe auf Anhieb folgen können. Der Beitrag erschließt sich einem in seiner ganzen Brisanz daher nur, wenn man ihn (mindestens) zweimal liest. Insbesondere ihre Ansichten zu den Adressaten eines künftigen Fortpflanzungsmedizingesetzes" sind hochinteressant (S. 49). Die Verfasserin operiert in diesem Zusammenhang mit strafrechtlichen Sanktionen. Genauer konstatiert sie, daß der "deutsche Gesetzgeber weitestgehend davor zurückschreckt" Personengruppen wie Schwangere, Patienten und Patientinnen der Kinderwunschmedizin sowie Spender von Keimzellen und Embryonen
strafrechtlich zu belangen (S. 49). Dieses vermindere ihrer Ansicht nach nicht nur die Chancen auf eine effektive Normdurchsetzung im Inland, sondern bilde die Grundlage für einen “blühenden Kinderwunschtourismus”, weil mangels Strafbarkeit im Inland auch einer Verfolgung als Auslandstat der Boden entzogen sei (S. 49). In ihren Augen sei es daher unumgänglich, den Kreis der Adressaten zu erweitern. Die Verfasserin strebt eine strafrechtliche Sanktion für Ei- und Samenspender(innen) an, als auch für die Frauen, die sie empfangen, eventuell sogar schon für Patientinnen (S. 49). Dieser Ansatz ist angesichts der mühsamen, konfliktreichen und
jahrzehntelangen Debatte um den § 218 StGB rechtspolitisch völlig abwegig. Darüber hinaus ist er auch in der Praxis nicht durchzusetzen. Weder wird es gynäkologische Reihen(zwangs-) untersuchungen im Frankfurter Flughafen geben, noch wird ein Gynäkologe die ärztliche Schweigepflicht brechen und seine Patientin anzeigen. Es verwundert, daß angesichts der jüngsten Rechts- aber auch Medizingeschichte derart fundamentalistische Ansichten in Deutschland (wieder) gesellschaftsfähig sind.

Dem dissonanten Beitrag von Wendehorst schließen sich die Ausführungen von Ute Sacksofsky über “Anforderungen an ein Fortpflanzungsmedizingesetz – Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen” an (S. 52). Überschneidungen mit dem vorhergehenden Artikel sind unvermeidlich, aber unschädlich. Sacksofsky versteht es, die verfassungsrechtlichen Vorgaben planvoll, leicht lesbar und didaktisch überzeugend darzulegen. Ihrem Fazit, daß bereits die PND auf Frauen einen nicht zu unterschätzenden Druck ausübt, ein “perfektes Kind” zur Welt zu bringen, die Einführung der PID dieses Phänomen verstärken und zudem negative Auswirkungen
auf die Stellung und Akzeptanz von Behinderten haben wird (S. 69), ist vorbehaltlos zuzustimmen.

Im folgenden Kapitel untersuchen ein evangelischer und ein katholischer Theologe den ontologischen und moralischen Status des frühen menschlichen Embryos. Wolfgang Göbel argumentiert aus der Sicht eines katholischen Moraltheologen. Seine Ansichten sind – wie nicht anders zu erwarten – streng an der katholischen Moraltheologie ausgerichtet und kulminieren in dem Satz: “Die Faszination großer Erwartungen verdeckt den größeren Mangel an substanziellen Sinn.” (S. 104) Demgegenüber ist Hartmut Kreß´ Beitrag zur protestantischen Ethik ein mustergültiges Beispiel dafür, wie hervorragend interdisziplinäre Tagungsbände ausgestaltet sein können, wenn jeder Fachreferent versucht, seine Materie so verständlich wie möglich zu beleuchten. Kreß bedient sich dabei der Thesenbildung. Anhand derer spannt er einen weiten Bogen vom Status des Embryos bis zur Rechtssetzung im katholischen Italien. Insbesondere seine zweite These ist bemerkenswert. Danach sollten der Meinungsbildungsprozess zur Bioethik in Zukunft nicht nur auf die geistes- und fachwissenschaftlichen Voten, sondern auch auf islamische und jüdische Auffassungen eingehen (S. 80).

Eben jene Ansichten referieren sodann Yasar Bilgin und Schimon Staszewski. Hierbei fällt zunächst auf, daß beide Beitrage – gemessen an den anderen Artikeln – recht kurz sind. Das muß – wie im Falle von Bilgin – (S. 107-118) kein Nachteil sein, aber wenn Staszewski meint, in seinem Beitrag über “Medizinethik und jüdisches Recht – Einführung in Methodik und Positionsfindung” (S. 119-125), ohne Fußnote und Literaturangaben auskommen zu müssen, so gibt das zur Verwunderung Anlaß. Staszewski schildert offenbar die israelische Gegebenheiten, wenn er schreibt, daß bei der Durchführung der “In-vitro-Fertilisation Frauen mit Hormonen behandelt werden, so dass bis zu 20 Eier pro Zyklus produziert werden” (S. 121). Dem schließt sich eine Darstellung der kontroversen rabbinischen Meinungen an, die insbesondere bei der Eizellenspende nicht unerheblicher Natur sind, da Jude nur ist, wer eine jüdische Mutter hat (S. 122). Die am weitesten verbreitete Meinung, betrachtet den Anteil der Eizellenspenderin als “vernachlässigbar klein” (S. 122), so daß die austragende Frau als eigentliche Mutter angesehen wird. Auch die IVF ist zunächst kontrovers diskutiert worden, wurde schließlich unter bestimmten Bedingungen jedoch von den Rabbinern gestattet (S. 122). Für beide Fallgruppen lautet nunmehr die Frage: Von welchen Rabbinern, welcher jüdischen Glaubensrichtung in welchem Land? Auf beide Fragen erhält man keine Antwort. Der Artikel ist zwar kurzweilig geschrieben, unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten jedoch leider als völlig unbrauchbar zu bezeichnen.

Ganz anders gestalten sich die Artikel von Ole Döring und Uwe Körner. Überaus anschaulich vermitteln beide Autoren die fernöstliche Haltung. Dabei erfüllt Dörings Analyse höchste wissenschaftliche Ansprüche und zwar in ethischer, rechtlicher und kulturvergleichender Hinsicht (S. 126-145). Körners Beitrag mit dem Titel “Gebete für das Seelenheil abgetriebener Kinder” (S. 146-160) ist für Westeuropäer in mancher Hinsicht irritierend. So wurde in Japan erst 1999 die hormonelle Empfängnisverhütung zugelassen, da Ärzte bis dato mit Abtreibungen größere finanzielle Gewinne erzielten (S. 146). Gesetzliche Regelungen zur Anwendung der IVF gibt es nicht, aber Empfehlungen der Fachärzteverbände. Pränataldiagnostik und
Präimplantationsdiagnostik werden angewendet (S. 146). Ansonsten wird das Thema, wie in China (S. 127), von der öffentlichen Meinung wohl eher als sekundär eingestuft (S. 147).

Das Buch ist eine Anschaffung wert. Soweit ersichtlich ist - drei Jahre nach der Tagung – ein derartiger Meinungsaustausch nicht wieder zustandegekommen bzw. in einem Sammelband publiziert worden. Das ist bedauerlich, denn die Reproduktionsmedizin macht, wie Anfangs gezeigt, mittlerweile weder vor den nationalen noch vor kulturellen Grenzen halt. Mit deutlichem Unbehagen entsinnt man sich daher der Bemerkung Dörings (S. 143), daß nämlich sowohl in China als auch in Europa die Interessen einflussreicher Akteure nach wie vor die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen gestalten.

(1) LINK: http://de.news.yahoo.com/09072006/286/62-jaehrige-aelteste-mutter-grossbritanniens.html (Stand: 21.6.2006 - im Internet leider nicht mehr verfügbar) sowie http://www.timesonline.co.uk:80/tol/news/uk/article685087.ece (Stand: 9.2.2007 - Page 2)
(2) Zeitschrift Human Reproduction, Vol. 18, No. 10, 2145–2150, October 2003


DIE REZENSION IST IN DER ZEITSCHRIFT "ETHIK IN DER MEDIZIN" AM 26. DEZEMBER 2006 (ONLINE-FIRST) VERÖFFENTLICHT WORDEN. EIn NACHDRUCK ERFOLGTE DURCH DIE ZEITSCHRIFT SPECULUM - HEFT 1/2007 - DIE RECHTE LIEGEN BEI DER AUTORIN.

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