Die Immobilienwirtschaft Deutschlands im Wandel
Die Immobilienwirtschaft Deutschlands im Wandel

Die Immobilienwirtschaft Deutschlands im Wandel

75 Jahre Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie für den Regierungsbezirk Freiburg e.V.

Beitrag, Deutsch, 6 Seiten, Eigenverlag Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie für den Regierungsbezirk Freiburg

Autor: Erwin Sailer

Herausgeber / Co-Autor: Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Hermann Francke, Dr. Norbert Euba, Peter Graf, Gabriele Bobka, Dr. Wilfried Kollnig

Erscheinungsdatum: 2005

Auflage: 1. A.

Seitenangabe: 73 - 78


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Eigenverlag Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie für den Regierungsbezirk Freiburg

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Da die Festschrift zum 75 jährigen Jubiläum im Buchhandel nicht erhältlich ist, wird der Beitrag hier vollstädnig wiedergegeben:

Immobilienwirtschaft Deutschlands im Wandel
Blickt man zurück und nach vorn und versucht aus den Erkenntnissen, die man daraus gewinnt, die gegenwärtige Lage zu bestimmen, dann gelingt dies zuverlässig nur, wenn man langfristige „säkulare“ Trends zum Betrachtungsgegenstand macht. Kein Wirtschaftszweig ist so sehr von langfristig tragfähigen wirtschaftlichen Entscheidungen abhängig, wie der der Immobilienwirtschaft. Hinzu kommt, dass die Immobilienlandschaft in starkem Maße von historisch-politischen und kulturellen, Einflüssen geprägt ist. Seit den 90er Jahren des soeben vergangenen Jahrhunderts gewinnen darüber hinaus ökologische Aspekte einen zunehmenden Einfluss auf ihre Gestaltung.
 
  • 1850 – 1945 – Aufbau und Untergang
Städte haben einen langen historischen Lebenszyklus. In alten Zeiten waren sie einerseits durch Stadtmauern gesicherte „Burgen“ für die Bürger, andererseits Marktplätze und Verkehrszentren für die Kaufleute. Im 19. Jahrhundert trat ein grundlegender Wandel ein. Die Immobilienwirtschaft entstand als selbständiger Wirtschaftszweig in Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts und begann ein neues Stadtbild zu prägen. Es war eine Problemgeschichte, die durch Entwicklungsschübe in mehreren Bereichen ausgelöst wurde. Man denke an die Bevölkerungsexplosion, die damit verbundene „Landflucht“, das enorme Wachstum der Städte, das Entstehen einer industriellen Arbeiterklasse und den Ausbau einer völlig neuartigen Verkehrsinfrastruktur. Die Entwicklung innerhalb eines Jahrhunderts verlief von der Eisenbahn über das Auto zum Flugzeug, von Häusern mit Vergangenheitsbezügen zum bürgerlichen Rentehaus einerseits und zur Mietskaserne andererseits. Es entstand eine Industriekultur.
Der Jugendstil wurde zum Ausdruck eines zukunftsorientierten, befreiten Bewusstseins und einer Abkehr vom „Historismus“. In der Wissenschaft wähnte man sich dem Ziel nahe, die Rätsel der Welt gelöst zu haben. Liberaler Geist verband sich mit nationalem Bewusstsein.
Man muss aber auch die übrig gebliebenen Mietskasernen mit ihren drei bis vier Hinterhöfen – als Ausdruck des Wohnelends der damaligen Zeit – in die Betrachtung einbeziehen. Kreuzberg und der Prenzlauer Berg in Berlin vermitteln noch schwache Eindrücke davon, wie es einmal bei denen war, die im dunklen Schatten der lichtvollen Entwicklung standen und Opfer großer Umschichtungen der Gesellschaft wurden. Die Developer der damaligen Zeit, die so genannten Terraingesellschaften, konnten den Ansturm der Bevölkerung aus dem Lande trotz großer Anstrengungen nicht befriedigend kanalisieren. Der privatwirtschaftlich organisierte Städtebau stieß an Grenzen. Es gab nicht nur erhebliche Konjunktur­schwankungen, Aufschwünge und Immobilienkrisen, es fehlt auch an sichernden städtebaurechtlichen Grundlagen, was am Ende – noch vor Beginn des 1. Weltkriegs - zum Untergang der meisten Terraingesellschaften führte.
Die Lösung der aufgekommenen „Wohnungsfrage“ stand im Fokus einer neuen Wohnungsreformbewegung. Auch hier gab es um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert Fortschritte. „Baupolizeiliche“ Vorschriften sorgten fortan für mehr Hygiene, Belichtung und frischer Luft. Zaghaft wurden städtebauliche Rahmenbedingungen geschaffen. Das Erbbaurecht entstand. Der Heimstättengedanke fiel auf fruchtbaren Boden. Baugenossenschaften etablierten sich. Dies alles hatte Perspektive, bis der Ausbruch und der Ausgang des ersten Weltkrieges einen Riegel vor die weitere Zukunft schoben. Die erste große städtebauliche Aufbauleistung war 1910-1912 zu Ende gegangen. Die Zahl der Großstädte, die es Mitte des 19. Jahrhundert gab, hatte sich innerhalb von 50 Jahren nahezu versiebenfacht.
Der erste Weltkrieg, dessen Beginn noch Begeisterung auslöste, zog unter diese Entwicklung einen Schlussstrich. Eine neue Periode von Hunger und Elend brach an.
Gebaut wurde nunmehr ohne Dekor. Das Bauhaus entstand. Die Entwicklung verlief in Richtung Wohnmaschine. Die ernüchternde „Moderne“ hielt Einzug.
Den gänzlich verschwundenen Übermut des 19. Jahrhunderts wollten die Nationalsozialisten noch einmal reanimieren und mit der das Elend übertünchenden „Spaßgesellschaft“ der „goldenen zwanziger Jahre“ aufräumen. Heraus kam die Kultivierung eines rassistischen Größenwahns, der zum Holocaust und der Vernichtung großer materieller und geistiger Werte führte. Viel von der Gebäudesubstanz, die im 19. Jahrhundert aufgebaut wurde, fiel den Bomben des 2. Weltkriegs zum Opfer. Flüchtlingsströme aus dem Osten mussten zudem aufgefangen werden.
Die Probleme der damaligen Zeit sind verschwunden. Viel von dem, was geschaffen wurde und die Kriegszeit überstand, angefangen von Herrschaftsvillen der Gründerzeit bis hin zu den Straßenzügen mit den Jugendstilhäusern und Häusern mit Stilelementen des Historismus steht heute unter Denkmalschutz – Andenken an die „guten“ alten Zeiten. Auch Altstadtkerne sind weitgehend saniert und verklären ihre Vergangenheit.
 
  • 1945 – 1989 Teilung Deutschlands - Wiederaufbau nach zwei Mustern
Die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts stand im Zeichen des Wiederaufbaus. Was nach dem ersten Weltkrieg nicht möglich war, wurde nun, durch die Polarisierung der Welt in zwei feindliche Lager, ermöglicht, ja erzwungen. Die Siegermächte rangen um Einflusssphären. Verfolgt wurde eine Strategie der atomaren Übermacht und der Ausdehnung der militärischen Paktsysteme. Deutschland wurde zwei geteilt. Die historische Bewährungsprobe zweier politischer Systeme wollte jedes Lager für sich entscheiden.
Der von ideologischen Zwängen weitgehend befreite Westen Deutschlands war geprägt, durch einen Wiederaufbau, der durch rahmengesetzliche Regelungen kanalisiert und staatlich gefördert wurde. Heute ist es kaum mehr vorstellbar, dass es dabei noch einen Finanzminister Fritz Schäffer gab, der es fertig brachte, einen neuen „Juliusturm“ aufzubauen, der die Finanzen der damaligen neuen Bundesrepublik in einem hellen Licht erscheinen ließ. Jahrelang wies der Bundeshaushalt, trotz Aufbau der Bundeswehr, Überschüsse auf. Nicht die Lehren von John Maynard Keynes, sondern die der Ordoliberalen der Freiburger Schule prägte den Verstand der Wirtschaftspolitiker der damaligen Zeit. Der Aufbau in Freiheit setzte ungeheure Kräfte frei. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders. Schnell transportierbare, leichte Krane wurden zum festen Bestandteil der Silhouetten unserer Städte, die sich laufend wandelten. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich in der zweiten Hälfte des folgenden 20. Jahrhunderts im Westen Deutschlands in gewisser Weise zu wiederholen. Nur waren die Erfahrungsgrundlagen völlig andere.
Eine ganz andere Entwicklung nahm die Wohnungswirtschaft der DDR. Das sozialistische Ideengut wurde Grundlage der Wirtschaftspolitik. Es wurde streng zwischen gesellschaftlichem Eigentum, (Volkseigentum) genossenschaftlichem sowie legitimen persönlichem und zu unterdrückenden kapitalistischem Eigentum unterschieden. Profite zu machen war nicht erlaubt. Die Mieten des alten Mietwohnungsbestandes blieben auf der Höhe des 1936 eingeführten Mietenstopps eingefroren. Modernisierungs- oder größere Instandhaltungsmaßnahmen wurden damit verhindert. Die Innenstädte verfielen zusehends.
Zwar wurde nicht – wie in der Sowjetunion - Grund und Boden generell sozialisiert. Persönliches Eigentum in Form eines Einfamilienhauses zu schaffen war einer privilegierten Schicht aber nur noch auf staatlichem Grund möglich. So entstand das Konstrukt des Gebäudeeigentums. Der wesentliche Teil des Wohnungsbaus wurde aber vom Staat in der Gestalt von Baukombinaten oder den nach 1954 gegründeten „Arbeiterwohnungs­genossenschaften“ getragen. Wie in der Sowjetunion wurde mit einiger Zeitverzögerung auch in der DDR der Plattenbau – eine völlig durchrationalisierte Bauform – eingeführt.
Auf diese Weise entstanden neue Stadtviertel. Der Ehrgeiz, den Westen im Bereich der Wohnraumversorgung einzuholen, um damit auch hier die Überlegenheit des sozialistischen Systems vor den Augen der Welt zu dokumentieren, wurde weit verfehlt. Trotz Abnahme der Bevölkerung in der DDR um knapp 2 Millionen und Zunahme der Bevölkerung in der Bundesrepublik um knapp 14 Millionen sah die Bilanz 1989wie folgt aus:
 

1989
Früheres
Bundesgebiet
Neue Bundesländer einschl. Berlin-Ost
Wohnungen je 1000 Einwohner
Wohnfläche je Wohnung
Wohnfläche je Einwohner
Räume je Wohnung
Räume je Einwohner
425
86,4 m²
36,7 m²
4,4
1,9
415
64,3 m²
27,4 m²
3,8
1,6

 
Aber auch die Qualität des Wohnungsbestandes war nicht vergleichbar. Große Teile des Altbestandes der DDR waren abbruchreif. Die Leitungen in den Plattenbauten verliefen auf Putz. Vielfach gab es keine Möglichkeit, die Heizung in den Räumen abzudrehen usw..
 
  • Ab 1990 – West-Ostsolidarität auch finanziell – aber mentale Differenz
Mit der Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands stellte sich die Aufgabe, die ungeheuere Entwicklungsdifferenz zwischen West und Ost zu beseitigen. Deutsche Mark und Ostmark wurden trotz unterschiedlicher Kaufkraftparitäten gleich einmal 1 : 1 getauscht. Die Rentenansprüche Ost wurden zum großen Teil von westdeutschen Beitragzahlern und dem Staat übernommen. Die Tilgung und Verzinsung der Schulden des DDR-Staates in Höhe von rund 182 Mrd. DM wurden von einem Erblastentilgungsfonds übernommen. Im Jahr 2011 sollen die letzten Schulden getilgt sein.
Die Beseitigung der wirtschaftlichen Diskrepanzen geschah zuerst auf breiter Front nach dem Gießkannenprinzip. Für Investitionen im „Fördergebiet“ gewährte das Fördergebietsgesetz Sonderabschreibungen, das Investitionszulagengesetz Zulagen. Über den Solidaritätszuschlag wurden der Aufbau der Infrastruktur und das modernste Telekommunikationsnetz Europas finanziert.
Das sozialistische Recht der DDR wurde sukzessive dem westdeutschen Recht angepasst. Zwischenkonstruktionen waren erforderlich, gerade im Bereich des Grundstücksrechts. Nutzungsrechte und Gebäudeeigentum mussten in das westdeutsche Rechtssystem transferiert und der öffentliche Glaube des Grundbuchs wieder hergestellt werden.
Um die Immobilienentwicklung Ost zu erleichtern, wurden neue Instrumente geschaffen, die ihren Niederschlag im Baugesetzbuch-Maßnahmegesetz fanden – Konstruktionen, die dann, weil sie sich bewährten, auch in das BauGB generell übernommen wurden. Großzügige Bauflächen wurden in den neuen Flächennutzungsplänen in der euphorischen Erwartung des Siedlungswachstums ausgewiesen.
All dies aber konnte nicht verhindern, dass große Teile der Bevölkerung dennoch nach Westen abwanderten. Damit entstand neben dem mentalen Problem, das bei gesellschaftlichen Neuformierungen immer entsteht, ein zusätzliches Strukturproblem. Heute gibt es zwar in Ostdeutschland blühende Landschaften, sie werden aber bevölkert von vereinsamten Seelen. Der aktive Teil der Bevölkerung ist in die Wachstumsregionen des Westens abgewandert. Aus dem ökonomischen Süd-Nordgefälle der alten Bundesrepublik wurde trotz aller Bemühungen ein strukturelles West-Ostgefälle, ein Zustand, wie wir ihn in der Gegenwart vorfinden.
 
  • Die Zukunft gestalten
Drei Aspekte sind für die künftige Entwicklung der Immobilienwirtschaft von ausschlaggebender Bedeutung. Es geht um die Wirkungen der demographischen Entwicklung auf Immobiliennachfrage und Angebot, die Wirkung der Globalisierung der Märkte auf die deutsche Immobilienwirtschaft und das Steuerungspotential, das dem Staat verbleibt, um die Wirkungen der demographischen Entwicklung und der Globalisierung der Märkte so zu kanalisieren, dass sich Leben in Deutschland noch lohnt.
 
  • Human Ressources der Senioren
Zwar wurde schon in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf die Probleme des demographischen Wandels in unserer Gesellschaft hingewiesen. Dabei ist nicht das Problem die zunehmend größere Lebenserwartung der Bevölkerung, sondern die Tatsache, dass es keine diesem Trend gerecht werdenden ökonomisch untermauerten Gesellschaftskonzepte gibt. So ist eine automatische Anpassung der Lebensarbeitszeiten an Lebenserwartungen selbst heute kaum diskutierbar. Aber auch wenn es keine Denkblockaden gäbe, die die Selbstverständlichkeit einer solchen Entwicklung in einer freien Gesellschaft versperren, wäre das Problem nur teilweise gelöst. Das Hauptproblem besteht darin, dass die Geburtenziffer innerhalb weniger Jahre einbrach.
Statistiker bezeichneten dies als den „Pillenknick“ und wollten damit zum Ausdruck bringen, dass die durch die Pille ermöglichte Familienplanung zu dieser Erscheinung geführt habe. Aus den daraus entwickelten Analysen wurden indes keine Konsequenzen gezogen. Die Schrumpfung der Bevölkerung lag ja noch in weiter Ferne. Die Frauen unserer Gesellschaft fühlten sich zu mehr berufen als zu einem biederen Hausfrauendasein. Familien mit mehreren Kindern waren nicht mehr „in“ und wurden bemitleidet. Ein Paradigmenwechsel setzte erst um die Jahrhundertwende langsam ein. Heute steht die Forderung nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in jedem Parteiprogramm und in den Programmen aller sonstigen Organisationen, die sich um das Wohl der Familien kümmern.
Klar ist, dass der durch den generativen Wandel herbeigeführte Bevölkerungsschwund, der ja nicht nur Deutschland, sondern auch die Mittelmeerländer und in besonderem Maße Osteuropa erfasst hat, in seinen Auswirkungen nur durch Einwanderung abgemildert werden kann. Das Gleichgewicht in der Alterstruktur durch Zuwanderungen aus dem europäischen Kulturraum zu erreichen, dürfte in Anbetracht der vergleichbaren Strukturprobleme nur in ganz beschränktem Umfange gelingen.
Was bedeutet dies für die Immobilienwirtschaft? Wenn auf der Grundlage angenommener Zuwanderungsszenarien ab dem Jahr 2025 die Zahl der Privathaushalte, also der Nachfrageeinheiten nach Wohnungen, allgemein zu sinken beginnt, wird dies – quantitativ betrachtet - den Bedarf nach neuen Wohnungen innerhalb der erforderlichen Reproduktionsrate ansiedeln. Dabei wird es zu regionalen unterschiedlichen Anpassungsprozessen kommen. In entwicklungsschwachen Regionen Deutschlands werden Stadtumbaustrategien die entscheidende Rolle spielen, in wachstumsorientierten Regionen wird es auch noch ein Bevölkerungswachstum geben.
Die Binnenwanderung wird zusätzlich für eine regional in unterschiedliche Richtung verlaufende Änderung der Alterstrukturen sorgen. Mobil sind die jüngeren Leute, eher immobil die älteren. So werden Wachstumsregionen einen noch relativ niedrigeren Altersdurchschnitt aufweisen gegenüber entwicklungsschwachen Schrumpfungsregionen. Und die ökonomisch auseinanderdriftenden Regionen werden eine unterschiedliche Raumprägung mit unterschiedlichen Anforderungen an Wohn- und Geschäftsimmobilien erhalten.
Es wäre allerdings falsch, anzunehmen, Städte mit höherem Alterdurchschnitt müssten sich zu einer Ansammlung von Seniorenresidenzen und seniorengerechten Fitness-Centern entwickeln. Das Human Kapital, das in den Köpfen der Senioren steckt, liegt weitgehend brach. Es geht weniger darum, Studienmöglichkeiten für Leute, die aus dem Arbeitsleben herausgetreten sind, zu deren Zeitvertreib zu organisieren, sondern vor allem darum, das Potential der Senioren in den ökonomischen Kreislauf zurückzuführen. Das bedeutet, dass auch Business Center und Forschungseinrichtungen für Senioren Platz haben müssen. Zwar werden auch alten- und behindertengerechte Wohnungen benötigt werden, aber auch Wohnungen mit der Möglichkeit zur Einrichtung ergonomisch gut organisierte Arbeitsplätze („Home Office“) mit entsprechender IT-Ausstattung. Das ist Zukunft für den Fall, dass sie politisch unterstützt wird.
 
  • Politische Entwürfe
Die raumordnungspolitischen Rahmenbedingungen – sowohl auf der Ebene der europäischen Union als auch in Deutschland – gehen derzeit noch von bestimmten Vorstellungen aus, die möglicherweise in zehn oder fünfzehn Jahren revidiert werden müssen. Das Stichwort, um das es geht und das die gesamte Raumordnungshierarchie durchzieht - von der europäischen, über die bundesdeutsche bin hin zur Länderebene – lautet: Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilräumen. Hierfür stehen Förderungsmittel bereits. Ein Drittel des EU-Haushaltes fließt in den Europäischen Strukturfonds, aus dem zwischen 2000 und 2006 die Mittel für die Unterstützung der Regionen mit Entwicklungsrückstand und in Gebiete mit Strukturproblemen bereitgestellt werden. Ein Teil steht für Projekte zur Förderung der Bildungs- Ausbildungs- und Beschäftigungssysteme zur Verfügung. In Deutschland sind die Bundesländer durch das Raumordnungsgesetz verpflichtet, Raumordnungspläne (Landesentwicklungspläne) für ihr Bundesland nach diesen Vorgaben aufzustellen. Auch hier gilt die Leitvorstellung von der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Diese sind wiederum Grundlage für die nächst untere Ebene der Regionalplanung. Das ist europäisches Credo. Eine deutsche Besonderheit besteht noch darin, dass „die räumlichen und strukturellen Ungleichgewichte zwischen den bis zur Herstellung der Einheit Deutschlands getrennten Gebieten auszugleichen“ sind (§1 Abs. 2, Ziff. 8 ROG).
Finanzielle Grundlage bildet ein Finanzausgleichssystem. Es verläuft vertikal vom Bund zum Bundesland, vom Bundesland zur Kommune und horizontal vom reichen Bundesland zum armen Bundesland. Innerhalb der Bundesländer wird mit dem weiteren Instrument des kommunalen Finanzausgleichs gearbeitet. So wird bis heute ein Subventionierungssystem innerhalb der Gebietskörperschaften aufrechterhalten, das sich gegen die geschilderten Trends stemmt. Zunehmend fließen die Mittel aber nicht in Investitionen, mit denen Arbeitsplätze aufgebaut werden, sondern in den öffentlichen Verbrauch.
Mittlerweile wird erkannt, dass flächendeckende Raumentwicklung kaum mehr finanzierbar ist. Der Fokus wird jetzt auf Schwerpunkbildung bei Einsatz von Fördermitteln gelegt. Ob dadurch eine stärkere Bindungswirkung bei der Bevölkerung erzeugt werden kann, ist fraglich, wenngleich die Umorientierung grundsätzlich nicht falsch ist.
Im Spannungsfeld zwischen entwicklungsdynamischen Prozessen, die tendenziell das regionale Auseinanderdriften von Wachstums- und Schrumpfungsregionen verstärken und dem politischen Bemühungen, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse anzustreben, ist der Immobilienmarkt angesiedelt. In Immobilien investieren bedeutet langfristig hohes Verlustrisiko, wenn am falschen Ort investiert wird. Solche Erfahrungen haben manche Investoren bereits hinter sich gebracht. Heute steht die Frage des Realitätsbezugs prognostizierter Raumentwicklungsmöglichkeiten verstärkt im Vordergrund. Auch der kontrollierte Stadtrückbau mit gleichzeitigen Aufwertungsinvestitionen und der damit erhofften Magnetwirkung kann sich als verfehlt herausstellen, dann nämlich, wenn die Magnetwirkung ausbleibt.
Globalisierung als Chance
Zu bedenken ist, dass Deutschland nicht nur innerhalb der Europäischen Union, sondern in einem globalen Wettbewerb steht. Er wird sich weiter verstärken. Eine Abschottung dagegen ist nicht möglich. Nationalstaaten besitzen weder die Kompetenz, noch die Macht, Globalisierung zu verhindern. Industrien, die bisher in Deutschland produzierten und deren Produkte auf gleichem Qualitätsniveau in einem Niedriglohnland hergestellt werden können, haben in Deutschland keine langfristigen Verweilchancen mehr. Produktionen werden zunehmend ins billig produzierende Ausland verlagert werden. Dies sind die Fakten.
Von denen, die dies bedauern, wird einiges völlig übersehen: Der nicht aufhaltbare Prozess der Deindustrialisierung hierzulande wird ausgeglichen durch einen Prozess der Industrialisierung in Ländern, die bisher nicht zu den Industrienationen zählten. Es findet mit anderen Worten eine globale Umschichtung statt. Deindustrialisierung wird zwar in Deutschland (wie auch in Frankreich und anderen europäischen Ländern) immer noch als Übel aufgefasst. Betrachtet man die sich daraus ergebende Weltbilanz, enthält sie mehr positive als negative Aspekte. Deutsche Unternehmen besitzen ein Know-How hinsichtlich einer sozial- und umweltverträglichen Industrialisierung. Dies kann mit Verlagerung der Betriebe zusammen exportiert werden.
Denkt man in parallelen Zeitschienen, steht der mit der Deindustrialisierung in Deutschland verbundenen Freisetzung von Arbeitskräften durch den ausbleibenden Nachwuchs eine zunehmende Verkappung des Produktionsfaktors Arbeit gegenüber. Deindustrialisierung in Deutschland verläuft, unter Berücksichtigung von time-lags somit parallel zur Verknappung des Arbeitsangebots. Dem Kampf um Bevölkerungsanteile wird der Kampf um Arbeitskräfte folgen. Daran heute zu denken, fällt vielen noch schwer.
Dabei werden Strukturveränderungen nicht ausbleiben. Einerseits wird das einheimische Handwerk Industrien ersetzen, andererseits besteht die Möglichkeit, durch den Ausbau von Forschung und Entwicklung im System der Steuerung globaler Prozesse Führungsfunktionen zu übernehmen. Die besondere Bedeutung, die Deutschland dabei haben wird, besteht in seiner ausgezeichneten Infrastruktur, die bereits Basis einer logistischen Drehscheibe der Märkte ist und künftig noch mehr sein kann. (Deutschland als Exportweltmeister)
Für die Immobilienwirtschaft in Verbindung mit den für die Raumplanung zuständigen Institutionen bedeutet dies, gezielt Standorte so aufzubereiten, dass sie als attraktives Angebot in einem zunehmend globalen Wettbewerb bestehen können.
 
Erwin Sailer
April 2005

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Erwin Sailer

DE, Gröbenzell

Fachbuchautor

Dipl. Volksw. Erwin Sailer

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