Leibtheorien und „Informierter Leib“ – ein „komplexer Leibbegriff“ und seine Bedeutung für die Integrative Supervision und Therapie
Leibtheorien und „Informierter Leib“ – ein „komplexer Leibbegriff“ und seine Bedeutung für die Integrative Supervision und Therapie

Leibtheorien und „Informierter Leib“ – ein „komplexer Leibbegriff“ und seine Bedeutung für die Integrative Supervision und Therapie

Ein „komplexer Leibbegriff“ und seine Bedeutung für die Integrative Supervision und Therapie

Aufsatz, Deutsch, 32 Seiten, SUPERVISION Theorie – Praxis – Forschung Eine interdisziplinäre Internet-Zeitschrift

Autor: Ralf Bolhaar, M.Sc.

Herausgeber / Co-Autor: Hilarion G. Petzold

Erscheinungsdatum: 01.04.2008

Quelle: SUPERVISION: Theorie – Praxis – Forschung Ausgabe 04/2008

Seitenangabe: 1-32


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SUPERVISION Theorie – Praxis – Forschung Eine interdisziplinäre Internet-Zeitschrift

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Der Begriff des „Leibes“ ist für viele Menschen heute ein fast altmodisch anmutender Begriff. In alltäglichen Zusammenhängen wird meistens eher vom Körper („Körperkult“, „Körperpflege“, „körperliche Beschwerden“) gesprochen.

Noch im 18. Jahrhundert gab es kein einziges allgemein gültiges Schwangerschaftszeichen. Jede Frau hatte ihr eigenes persönliches Zeichen, das sie deutete. Nur sie konnte wissen, ob das Ausbleiben der Menstruation, die Wölbung des Bauches, die Milch in den Brüsten, die „gute Hoffnung“ ankündigte. Heute werden in Deutschland 60-80% aller Schwangerschaften als Risikoschwangerschaften eingestuft . Das Erspüren des sich bewegenden Kindes im Mutterleib, weicht einer distanzierteren und möglichst objektivierbaren Wahrnehmung, deren Hintergrund oft die Angst vor medizinischen Komplikationen ist.

Leiblichkeit im 21. Jahrhundert findet, zumindest in den industrialisierten Ländern, vor allen Dingen dann Beachtung, wenn sie als Last oder Bedrohung empfunden wird. Egal ob körperlicher Makel, Krankheit oder Behinderung: hier stehen Schönheitschirurgen und die pharmakologisch-medizinische Industrie bereit und versprechen Besserung.

Der „Gesundheitsbericht 2006“ der Bundesregierung ist eher ein Krankheitsbericht und beschreibt vor allen Dingen das massenhafte Leiden am Leibe bzw. die körperlichen Erkrankungen vieler Menschen. Zur Zeit leben demnach in Deutschland schätzungsweise vier Millionen diagnostizierte Diabetiker, jede fünfte Frau und jeder siebte Mann leidet an chronischen Rückenschmerzen, über 400 000 Personen erkranken jährlich an Krebs und fast ebenso viele versterben an einer Krankheit des Herz-Kreislauf-Systems – diese Zahlen werfen ein Schlaglicht auf die Krankheitsbelastung der deutschen Bevölkerung. Damit leiden laut Angaben des Robert Koch-Instituts und der Kommission Gesundheitsberichterstattung aktuell mehr als 20 Millionen Deutsche an chronischen Erkrankungen.

Neben dem Rauchen gehören Übergewicht, mangelnde körperliche Bewegung, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen zu den Risikofaktoren, die für einen großen Teil der Krankheitsbelastung der Deutschen verantwortlich sind. Ein weiterer Motor der sich verändernden Krankheitsbelastung der Deutschen ist der demografische Wandel. So könnte sich durch den wachsenden Anteil älterer und alter Menschen die Häufigkeit von Demenzerkrankungen bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Ebenso muss bei anderen im höheren Lebensalter häufigen Leiden, beispielsweise Krebs, Diabetes und Osteoporose, Schlaganfall, mit steigenden Erkrankungszahlen gerechnet werden.

Die Zahl der süchtigen Menschen in Deutschland ist seit Jahren steigend. Dabei ist vor allen Dingen eine Ausweitung auf synthetische und leistungsfördernde Stoffe, ärztlich verordnete Psychopharmaka und die Zunahme von nicht-stofflichen Süchten wie Ess-Brechsucht, Magersucht und die Spiel- und Internetsucht zu beobachten.

Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen gewinnen an Bedeutung und spielen bei Arbeitsunfähigkeitsfällen und Frühberentungen bereits jetzt eine führende Rolle. Die Zunahme psychischer Krankheiten, die durch Gesundheitssurveys in der Bevölkerung belegt ist, dürfte teilweise auch auf verstärkte seelische Belastungen zurückgehen.

Der Umgang mit Leib und Körper spielen demnach auch im Arbeitsfeld von Supervision und Coaching eine immer wichtiger werdende Rolle. Volkswirtschaftlich aber auch individuell und persönlich gesehen hat das leibliche Wohl eine immens hohe Bedeutung. Leibliches Spüren und Empfinden bestimmt jeden zwischenmenschlichen Kontakt und ist somit auch ein Schlüssel zu einem besserem Wohlbefinden, nachhaltigen Einsichten und einem verändertem Handeln.

Supervision als Fachberatung für Experten, vor allen Dingen im psychosozialen Zusammenhängen, braucht daher eine gut begründete und wissenschaftlich fundierte Haltung in Bezug auf das Spannungsfeld von Leib und Körper. Denn bei Burn-Out, Depression, Stress, psychischer oder mentaler Erschöpfung sind immer auch (krankheits-)relevante Aspekte der Leiblichkeit mitbetroffen.

Das Leibkonzept des Integrativen Ansatzes (Merlau-Ponty 1964, Schmitz 1989, Petzold 1988) übergreift die Trennung von Körper und Seele, ohne sie aufzuheben. Mit Leib ist in diesem Sinne der „beseelte lebendige Körper“ oder der „erlebende und sich selbst erlebende Körper“ gemeint. Die Anerkennung der Leiblichkeit ist Grundlage für die Wahrnehmung von Ereignissen, das Erkennen ihrer Relevanz für einen bestimmten Sachverhalt und das daraus resultierende zielgerichtete Planen und Handeln eines Menschen.

Neben dem Leibverständnis von Merleau-Ponty („der Leib als Mittel zur Welt“), skizziert der folgende Aufsatz die pragmatische Leibphilosophie nach Böhme. Abschließend wird das Konzept des „informierten Leibes“ nach Petzold beleuchtet.

Neben der Bedeutung der Leibtheorien für die supervisorische Praxis gehe ich auf praktische Methoden und Ansätze im Kontext der Beratung ein. Die Konsequenzen die sich aus der Berücksichtigung der Leiblichkeit für die Praxis der Supervision ergeben schließen diese Arbeit ab.

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Ralf Bolhaar, M.Sc.

DE, Münster

Gesundheit im Job

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