Thonets produktionssystematisch geniale Erfindung
Thonets produktionssystematisch geniale Erfindung

Thonets produktionssystematisch geniale Erfindung

Was hat die Stuhlproduktion Thonets von 1850 mit einem Produktionssystem nach Toyota-Vorbild zu tun?

Beitrag, Deutsch, Eine Seite, DRW-Verlag Weinbrenner GmbH & Co

Autor: Dr. Otto Eggert

Erscheinungsdatum: 22.02.2008

Seitenangabe: 218


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In dem Beitrag wird die Erfindung Thonets aus produktionstechnischer Sicht beleuchtet und Übereinstimmungen mit einem modernen Produktionssystem nach Toyota- Vorbild aufgezeigt.

Inzwischen spricht die ganze Industrie von ganzheitlichen Produktions- und Unternehmenssystemen. Nach der Automobilindustrie – Stichwort Toyota Produktionssystem – haben es führende Holzbearbeitungsmaschinenhersteller in weiten Bereichen schon realisiert, viele Möbelhersteller auch. Und wenn nicht, denken sie darüber nach.
Kaum bekannt ist aber, daß einer der Pioniere zu diesem Thema der Bugholzpionier Michael Thonet aus Koblenz am Rhein ist. Dessen Mitte des 19. Jh. gemachte Erfindung, das Vollholzbiegen, kann gut als ein Paradebeispiel für ein erfolgreiches und durchgängiges Produktionssystem nach dem Toyota- Muster dienen.
Was hat Produktionssystem mit Produktion zu tun?
In den meisten Betrieben wird unter „Produktionssystem“ ein System zum Produzieren von Gütern verstanden. Es geht darum, mit welchen Produktionsverfahren können die nötigen Teile günstig aber gleichzeitig anforderungsgerecht hergestellt werden. Das Thema der Montage ist die „Eintaktung“ in einen möglichst fließenden Prozeß. Zugelieferte Teile und Baugruppen gibt es, je nach dem welcher Philosophie der / die Zuständige mehr zugeneigt ist, in einem Supermarkt oder über eine sequentielle Anlieferung, Vormontagen werden in einer Fischgräte oder direkt in der Linie ausgeführt.
Dazu kommt noch der Kanban, der Warenbegleitzettel auf Papier oder in elektronischer Form, ganz fortschrittlich als RFID und in der Avantgarde der Produktionsbetriebe strahlen die Andon (dt.: Laterne) um die Wette. Sie können auch noch mit Jidoka gekoppelt sein, einer Reißleine, mit der der Werker bei technischen Problemen die Linie zwecks sofortiger Behebung stoppen kann. Soweit das zumindest weitverbreitete Verständnis des Themas Produktionssystem.
Was sonst ist ein Produktionssystem?
Ein Produktionssystem ist eine ganzheitliche Betrachtung der Abläufe in einem (Fertigungs-)Betrieb (geht sicher auch für Dienstleister mit den entsprechenden Analogien). Und weil die Betrachtung wirklich ganzheitlich meint (also gültig für alle Prozesse und Vorgaben in einem Unternehmen), wäre eine fachliche Zuordnung im Marketing oder Personalwesen wahrscheinlich mindestens genauso zielführend wie bei den Verantwortlichen aus dem Bereich Produktion. Nur, daß es vielerorts nicht so gesehen wird. Schade, daß viele gute Ansätze zu diesem Thema nicht so weiterkommen wie sie es verdient hätten.
Michael Thonets Leistung
Michael Thonet entwickelte eine Technik zum Biegen von Vollholz. Er wollte elegante Stühle für die seiner Zeit feine Wiener Gesellschaft bauen, beim mehrschichtigen Verleimen der Schichthölzer löste sich aber wieder und wieder der Leim, worauf er nach einer gewissen Zeit anfing, die geschweiften Formen aus einem Stück zu machen.
Thonet arbeitete mit einem ganzheitlichen Ansatz: Produkt (Stuhl) und Produktionsmethode sind gemeinsam zu entwickeln, das Produkt ist auf die Möglichkeiten der Produktionsmethode hin zu entwerfen und die Produktionsmethode ist auf das Produkt hin maßzuschneidern.
Tonet erlangte in den Jahren 1847 bis 1850 den technischen Durchbruch mit der nach ihm benannte „Thonet- Methode“ zum Biegen von Vollholz. Mit dieser Methode ist es möglich, mit Hilfe eines Zugbandes Holz in seiner natürlich gewachsenen Struktur zu biegen. Aufgrund des günstigen Faserverlaufs haben so hergestellte Stühle sehr günstige Eigenschaften. Sie sind leicht, langlebig und gleichzeitig hoch belastbar. Nachdem Thonet in den Folgejahren auch noch das Model Nr. 14 zeichnete, das in idealer Weise eine Synthese zwischen Produktionstechnik, Funktion und Anmu-tung eingeht, schnellte die Nachfrage für die einfach- schönen, dabei preiswerten Stühle so schnell nach oben, daß um 1900 bereits 50 Millio-nen dieser Stühle verkauft worden waren.
Das Thonet- Produktionssystem
Zunächst war das zentrale Thema der Arbeit Thonets, wie kann das Pro-dukt optimal hergestellt werden. Er legte zunächst nur prinzipiell fest, welches Produkt entwickelt wird (Stuhl mit geschweiften Formen). Danach wurde die Methode entwickelt, wie dieses Produkt gefertigt werden kann. Mit diesen Vorgaben und einer engen Zusammenarbeit von Produktion und Konstruktion entstand dann das Produkt.
Ob die für das Toyota- Produktionssystem (TPS) charakterischen Kriterien, Produktion im Kundentakt (durchgängig ziehende Fertigung einschl. just in time- zeitnaher Lieferung) und Jidoka (Linienstopp bei Qualitätsproblem) in der von Toyota bekannten Weise umgesetzt wurden, läßt sich zum gegebenen Zeitpunkt nicht sagen. Insbesondere aufgrund des explosionsartigen Wachstums seiner Produktion von Bugholzstühlen und Einrichtungsgegenständen aus gebogenem Holz ist es aber denkbar, daß es zumindest ab einem bestimmten Zeitpunkt seines Erfolges für die ziehende Fertigung keinerlei Notwendigkeit (und damit auch kein Verständnis) gab. Davor, noch als Handwerksbetrieb hat er sicher auch ziehend (ausschließlich im Kundenauftrag) gefertigt.
Andererseits wurden die beiden ebenfalls wichtigen Merkmale des TPS, Vermeidung von Verschwendung (jap. Muda) und kontinuierliche Verbesserung der Prozesse (Kaizen / KVP) sicher umgesetzt. Dies zeigt sich schon in Thonets Ansatz, Holz für die Stühle zu biegen (kein Verschnitt), statt es in Form zu sägen.
Der Thonet- Stuhl Nr. 14, bekannt auch als Wiener Cafehausstuhl, besteht aus sieben Holzteilen plus acht Schrauben jeweils mit Mutter und Scheibe, zusammen aus 31 Teilen. Die wesentliche Botschaft dieses Beispiels ist aber, nicht Kaizen und Kanban machen ein Produktionssystem aus, sondern die gesamtheitliche Betrachtung des Produkts und dessen produktionstechnische Optimierung.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet kann Michael Thonet, der Stuhlpionier, als einer der ganz frühen Produktionssystematiker gelten. Die von seinen Söhnen im Jahr 1893 gegründete Stuhlfabrik in Frankenberg / Eder existiert nach wie vor in Familienbesitz und behauptet sich mit gebogenen Stühlen erfolgreich im Markt.

Dr. Otto Eggert

DE, München

Geschäftsführer

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